Lebe weiter, Sabinchen! (4)

Was bisher geschah

Lebe weiter, Sabinchen! (4)

Auf dem Flur wartete Dr. Schmelzer mit besorgter Miene.

„Sabinchen Helmer?“, fragte der Professor.

„Ja“, antwortete Schmelzer, „zwar ist die isotopische Untersuchung bislang ohne nennenswerten Befund

geblieben, aber das Ergebnis der letzten Blutuntersuchung macht mir große Sorgen.“
Er reichte dem Professor einen grünen Zettel mit verschiedenen La-borwerten. Der Professor nahm den

Zettel, sah sich die einzelnen Zahlen genauer an und legte die Stirn in Falten.
„Dieser Fall bereitet mir wirklich Kopfzerbrechen“, sagte er zu seinem jüngeren Kollegen. In der Stimme

des Professors lag eine leichte, aber unüberhörbare Resignation. „Wie kann es denn sein“, fuhr er fort, „daß die Zahl der Krebszellen im Blut derart hoch ist, wir aber nirgendwo einen Tumor diagnostizieren konnten? Können Sie mir das erklären?“ Der Professor fuhr sich mit seiner kräftigen Hand mehrmals durch’s Haar und schlug sich an die Stirn. Er war ratlos, und Dr. Schmelzer ging es genauso.

Vergangene Nacht hatte der junge Assistenzarzt bis in die frühen Morgenstunden in seinem Dienstzimmer gesessen und sich Sabinchens Untersuchungsergebnisse immer und immer wieder angesehen. Röntgenbilder hatte er beurteilt, Laborwerte verglichen, und war doch zu keinem Ergebnis gekommen, wie so oft in diesem Fall.

Mit Hilfe des neuen Dokumentenverwaltungs-Programmes, das Prof. Gabriel vor Monaten von CZEWO DATA hatte installieren lassen, war man in der Lage, blitzschnell auf sämtliche Daten zuzugreifen. Man konnte in rasender Geschwindigkeit Archivakten heranziehen und die Krankheitsbilder von verschiedenen Patienten direkt miteinander vergleichen. Alles auf Knopfdruck.

Führende Kliniken in Österreich arbeiteten schon lange sehr erfolgreich mit dieser Software. Und Dr. Schmelzer wußte, daß etliche seiner Kollegen bereits des öfteren wertvolle Zeit durch die Benutzung des Computersystems gewinnen konnten. Er selbst hatte die Vorteile des Programmes am eigenen Leib zu spüren bekommen. Denn erst kürzlich war ein dreißigjähriger Mann aus Bad Abbach mit einem schwer blutenden Magengeschwür in die Donauklinik eingeliefert worden. Er war schon zweimal wegen einer anderen Sache in der Klinik gewesen, weshalb man seine Daten bereits gespeichert hatte. So genügte ein Blick in den Computer, um sofort über Blutgruppe und mögliche Unverträglichkeiten bescheid zu wissen. Der Mann bekam umgehend die entsprechenden Konserven und konnte dadurch gerettet werden.

Aber in Sabinchens Fall kam Dr. Schmelzer einfach nicht weiter. Es war wie verhext. Morgens gegen halb drei war dann Schwester Veritas auf ihrer nächtlichen Runde in sein Dienstzimmer getreten und hatte ihm geraten, nach Hause zu gehen, um sich wenigstens für den Rest der Nacht noch etwas auszuruhen.
„Sie wissen doch, Dr. Schmelzer, wir müssen Strom sparen“, hatte sie scherzhaft hinzugesetzt und dem Doktor einfach das Licht ausgeschaltet.

***

Es war schon spät am Nachmittag, als Professor Gabriel den Operationssaal verließ. Für heute waren alle Patienten versorgt. Einem gemütlichen Feierabend stand eigentlich nichts mehr im Wege. Jedenfalls dachte das der Professor.

In seinem Büro wartete bereits Frau Bonkoff auf ihn.

„Guten Abend, Herr Professor“, sagte sie strahlend, „gut, daß Sie so früh fertig sind. Denn ich habe noch so viel mit Ihnen zu besprechen. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was sich gestern in unserem Haus abgespielt hat. Haben Sie denn kurz Zeit? Es ist wirklich…“

„Aber, aber“, unterbrach der Pro-fessor den Redeschwall seiner Sekretärin, „bevor Sie mir erzählen, was sich bei Ihnen zu Hause abgespielt hat, lassen Sie mich lieber wissen, was sich heute Abend in Donaustauf abspielen wird.“

„In Donaustauf?“, fragte Frau Bonkoff verwirrt, „ist mir da vielleicht etwas entgangen?“

„Woher soll ich das wissen? Jedenfalls wollte sich doch mein Freund Jochen melden!“

„Ach so, Sie meinen den Herrn Czech. Der hat heute Nachmittag um drei schon angerufen. Er wollte wissen, ob es denn bei Ihrem Tennisdoppel bleibt. Ich habe gesagt, daß sich da schon ein sehr großer Notfall ereignen müßte, damit Sie Ihr wöchentliches Tennismatch absagen.“

„Na, dann ist ja alles klar“, entgegnete Professor Gabriel und fügte lächelnd hinzu: „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Frau Bonkoff, wenn Sie mich bei Schwester Erika in der Kantine entschuldigen könnten. Ich werde nämlich in den Tennisstuben zu Abend essen. Jochen hat ein paar Freunde in die Gaststätte eingeladen, die die neue Anlage noch gar nicht kennen.“

„Die neue Anlage?“, fragte Frau Bonkoff interessiert.

„Ja. Seit mein Freund Jochen sich wieder um die Tennishalle kümmert, haben wir einen ganz neuen und kniefreundlichen Belag bekommen. Spielt sich sozusagen wie von selbst darauf. Oder ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, daß ich seit Wochen umherspringe wie ein junger Hirsch? Ich wollte, wir hätten einen solchen Boden im OP.“

„Tja, und das Essen? Ist das ebenfalls empfehlenswert? Ich meine, dort in den Tennisstuben?“

„Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?“, flüsterte Professor Gabriel und beugte sich über Frau Bonkoffs Schreibtisch.

„Ein Geheimnis? Ja, bitte, ich kann schweigen wie ein Grab!“

„Also ganz unter uns“, fuhr der Professor fort, „ich habe lange nicht mehr so gutes Gulasch und eine derart schmackhafte Kartoffelsuppe gegessen.“

„Das ist ja ein Ding“, schwärmte Frau Bonkoff.

Der Professor aber drückte seinen Zeigefinger an die Lippen.

„Daß Sie mich ja nicht bei Schwester Erika verpfeifen, verstanden?“

Prof. Gabriel wünschte seiner neugierigen Sekretärin einen schönen Abend und machte sich auf den Weg. Frau Bonkoff sah ihm hinterher und bewegte nachdenklich, ja sogar etwas verlegen den Kopf. Was für ein Mann, dachte sie…

***

Am anderen Morgen saß der Professor beim Frühstück und studierte wie üblich seine Mittelbayerische, als ein grinsender Dr. Schmelzer die Kantine betrat. Er lief geradewegs auf den Professor zu.

„Mein lieber Herr Gesangverein“, legte er unvermittelt los, „was ist denn heute morgen nur mit Schwester Erika? Ich soll Sie nämlich fragen, ob Sie – so wörtlich – ‚gedenken, in Zukunft immer auswärts zu speisen‘?“

„Ob ich…? Na warte!“, wetterte Prof. Gabriel, „der werde ich was erzählen!“

„Wem werden Sie was erzählen, Herr Professor?“

„Der Bonkoff natürlich! Aber was rege ich mich auf. Es hätte mir ja klar sein müssen, daß sie mich verpfeift.“
Dr. Schmelzer verstand nur Bahnhof.

„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte er besorgt.

„Ich habe mich nie besser gefühlt. Schließlich hatte ich ja gestern mein Tennismatch und danach… ach, vergessen Sie’s!“

Der Professor wollte die Kartoffelsuppen-Affäre nicht erneut aufwärmen. Denn Schwester Erika hatte sich lauschend herangepirscht und jedes weitere Wort würde sie nur noch mehr verärgern. Deshalb zog er es vor, das Thema zu wechseln.

„Wie steht es eigentlich mit Ihnen, Dr. Schmelzer? Immer noch sportlich unterwegs in Ihrer Freizeit?“ „Sicher“, antwortete Schmelzer. Er wußte nicht so recht, worauf Prof. Gabriel hinaus wollte.
„Sie spielen doch nun auch schon ein paar Jährchen Golf“, sagte dieser so ganz nebenbei. „Haben Sie denn

Ihr Handicap seit unserem letzten Ausflug nach Sinzing ein bißchen verbessern können?“
„Hmm“, grummelte Dr. Schmelzer, „ich glaube schon. Aber wie kommen Sie denn darauf?“
„Ach, nur so. Ich habe gestern Abend ganz zufällig mit Herrn Horlacher gesprochen, dem Manager vom

Golfplatz.“ „Und?“

„Nichts und! Herr Horlacher meinte eben nur, daß Sie vielleicht noch ein bißchen trainieren sollten!“ „Trainieren? Aber wofür? Es steht doch kein Turnier an!“
„Ja haben Sie das etwa schon vergessen?“, tönte der Professor triumphierend.
Dr. Schmelzer verstand nun gar nichts mehr. „Was sollte ich denn vergessen haben?“

„Denken Sie mal scharf nach, Herr Kollege. Ich sage nur ‚Dr. Berger’! Die gefällt Ihnen doch so gut!“ „Die Berger? Nun ja, das ist schon eine attraktive Erscheinung.“
Professor Gabriel räusperte sich kurz, dann legte er die Stirn in Falten.
„Ich habe Ihnen nun zwei Mitteilungen zu machen, und zwar eine gute und eine schlechte!“, sagte er,

„welche wollen Sie zuerst hören?“
„Die gute natürlich!“
„Na schön. Dann will ich mal nicht so sein. Also der Horlacher Martin hat auf mein Anraten hin, und um

Ihnen eine Freude zu bereiten, Frau Dr. Berger zu unserem Ärztekongreß mit Golfturnier eingeladen. Sie wollte zwar zunächst nicht zusagen, aber…“

„Kommt jetzt die schlechte Nachricht?“, unterbrach Schmelzer ungeduldig.

„Nein“, antwortete der Professor, „Frau Dr. Berger wird nach Sinzing kommen und Sie wird mit Ihnen golfen…“

„Ach du meine Güte!“

„Ja, das hat Herr Horlacher auch gesagt. Aber er hat auch angeboten, Ihnen in punkto Handicap ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Schließlich soll die Veranstaltung nicht mit einem Desaster für Sie enden. So wie letztes Jahr im Schwarzwald.“

„Erinnern Sie mich bloß nicht an den Schwarzwald. Das Buffet war eine einzige Katastrophe. Von wegen Schwarzwälder Schinken oder Torte! Und zum Tanzen bin ich auch nicht gekommen, weil ich den ganzen Abend mit Ihnen über medizinische Themen reden mußte. Ich hoffe, das wird diesmal anders werden.“

„Worauf Sie sich verlassen können, Herr Kollege. Darum veranstalten wir den Kongreß ja in Sinzing. Für das Buffet sorgt der Dollmann Hans. Das heißt, Sie dürfen, salopp gesagt, schlemmen, bis der Hans kommt – ähh, ich meine natürlich: bis der Arzt kommt. Und für den Fall, daß Sie am anderen Morgen eine Stärkung brauchen, habe ich gleich noch eine Ladung Weißwürste bei ihm bestellt. Also beim Hans, – die extra leckeren! Es kann ja sein, daß Sie nicht alleine frühstücken. Denn wie Sie selbst am besten wissen, ist der Golfclub Sinzing immer für einen prickelnden Flirt gut. Aber wem erzähle ich das eigentlich?“

„Ja, ja“, sagte Schmelzer, „für den Kongreß mach ich mir da auch keine Sorgen, aber vielleicht rufe ich doch mal den Horlacher an. Nicht, daß mir da noch was anbrennt! Denn ich glaube, die Berger golft ziemlich gut!
„Das glaube ich allerdings auch!“

Der Professor sah Schmelzer nicht ohne Schadenfreude ins Gesicht und meinte: „Bevor ich es vergesse, Herr Kollege: der Ärztekongreß findet 2004 erst im Frühjahr statt. Ein bißchen werden Sie also noch warten müssen.“

„Dachte ich mir’s doch“, seufzte Schmelzer, „daß die Sache einen Haken hat.“

Professor Gabriel klopfte ihm je-doch aufmunternd auf die Schulter.

„Ich habe gestern erfahren“, sagte er, „daß man in der Donaustaufer Tennishalle seinen Golfschwung überden Winter retten kann, auf der neuen Indoor Driving Ranch.“

„Indoor Driving Ranch? Das klingt gut. Vielleicht könnte ich ja auch Frau Dr. Berger davon begeistern.“

„Das würde ich an Ihrer Stelle lieber nicht tun! Oder wollen Sie sich schon vor der Zeit blamieren? Also trainieren Sie erstmal fleißig in der Halle und vergessen Sie auf keinen Fall, sich rechtzeitig beim Horlacher Martin Nachhilfe geben zu lassen. Ich meine natürlich, was das Golfen betrifft. Und für Ihre amourösen Frauengeschichten empfehle ich:
Geduld, Geduld, Geduld.“

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