Lebe weiter, Sabinchen!

Bevor die Donau-Klinik im Dezember 2021 mit neuen Heften erscheint, lesen Sie hier exklusiv die bereits erschienenen Folgen. Mehr Infos zur Donau-Klinik finden Sie hier:

Donauklinik Teil 1

Lebe weiter, Sabinchen!

von Dr. Sigmund Wilkens

Professor Gabriel blickte über den Rand seiner goldenen Brille in die funkelnden Augen seiner kleinen Patientin. 

„Muß der Papa denn sterben?“, fragte Sabinchen. 

„Nein, er hatte nur eine kleine Autopanne auf dem Weg in die Klinik. Versuche jetzt ein bißchen zu schlafen. Und wenn du wieder wach bist, kommt der Papa dich besuchen.“ 

Sabinchen lächelte. Professor Gabriel strich ihr sanft über die Wange und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und warf einen schmerzlichen Blick auf die Tafel, die über dem weißen Kinderbettchen hing. Er faßte sich schnell wieder und blinzelte Sabinchen zu. So tat er es immer, wenn er seinen kleinen Helden auf der Kinderstation Zuversicht geben wollte. Sabinchen sollte nicht merken, daß er sich große Sorgen machte. Sie blinzelte zufrieden zurück und kuschelte sich an das kleine, bunte Kissen, das ihr der Schreinermeister Schießl zum fünften Geburtstag geschenkt hatte. Sabinchens Vater hatte seinem Töchterchen zum fünften Geburtstag nämlich ein richtig gutes Bett schreinern lassen. Als besonderes Schmankerl hatte der nette Herr Schießl damals ein wunderschönes, buntes Kissen umsonst mitgeliefert, sozusagen als Betthupferl für süße Träume. Das war vor zwei Jahren gewesen. In der Zwischenzeit hatte Sabinchen fünfmal im Krankenhaus liegen müssen, jedes Mal für mehrere Wochen. Und jedesmal weit weg von ihrem Bettchen zu Hause. Aber immer hatte sie ihr buntes Kissen dabei. Es sollte ihr Glück und Genesung bringen. Außerdem erinnerte sie das Kissen an den lustigen Schreinermeister, der es ihr geschenkt hatte und der vielleicht sogar den Pumuckl persönlich kannte…

* * *

Viele Ärzte hatten das kleine Regensburger Mädchen mit dem dunkelblonden Zopf und den blassen Wangen bereits behandelt, aber jedes Mal war die Therapie abgebrochen worden. Chemo und Bestrahlung hatten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. 

Arbeitskollegen hatten schließlich den Vater des Mädchens, Bernd Helmer, darauf hingewiesen, daß vielleicht Prof. Gabriel helfen könne. Man habe viel von ihm gehört und die Frau eines Kollegen habe er vor zwei Jahren vor dem sicheren Krebstod bewahrt. 

Prof. Gabriel leitete nun seit zwanzig Jahren die renommierte Donauklinik bei Regensburg. Und er tat es mit großem Erfolg. 

Als Bernd Helmer seine Tochter Sabine am zweiten Advent zu Prof. Gabriel in die Klinik gebracht hatte, hatte der erfahrene Mediziner wenig Heilungschancen gesehen.

Dann hatte sich der Zustand des Kindes rapide verbessert, wurde aber wieder schlechter, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte niemand eine exakte Prognose zum weiteren Krankheitsverlauf machen.

* * *

„Professor Gabriel!“, tönte es über den Flur. „Bitte kommen Sie schnell auf die Vier“. Schwester Helga war außer Atem. Sie war die dienstälteste Schwester und die gute Seele des Hauses. „Ein Notfall“, keuchte sie, „Herzstillstand!“ 

Prof. Gabriel rannte zur Mitte des Flures, riß den orangefarbenen Notfallkoffer von der Wand und war in nullkommanichts um die Ecke verschwunden.

Kurz darauf klingelte das Telefon im Schockraum. Der diensthabende Pfleger Hans-Erich hob ab:

„Ja, selbstverständlich – EKG und Defibrillator, bin schon unterwegs!“ Hans Erich warf einen prüfenden Blick auf seinen stets einsatzbereiten Notfallwagen und machte sich sofort auf den Weg.

Professor Gabriel war inzwischen auf Station Vier angekommen. Ein alter Mann, der schon längere Zeit an Herzinsuffizienz litt, war trotz Anordnung strengster Bettruhe aufgestanden und hatte dabei einen Herzanfall erlitten. Jetzt kämpfte Prof. Gabriel um sein Leben. Aber trotz Beatmungsmaske und Herzmassage wollten die Vitalfunktionen nicht mehr einsetzen. Und als Hans-Erich mit dem Notfallwagen eintraf, schien es bereits zu spät zu sein. Dennoch versuchte Prof. Gabriel, den Patienten mit Elektroschocks ins Leben zurückzuholen. Hans-Erich schloß das EKG-Gerät an, und der Professor brachte die Elektroden des Defibrillators mit sicherer Hand in Position: genau über der Herzachse. „Alles zurücktreten!“, rief er und schaltete den Strom ein. Mit jedem Stromstoß bog sich der Körper des Patienten in die Höhe, um gleich danach wieder herunterzusacken. Immer wieder warf Prof. Gabriel einen kritischen Blick auf den Monitor des EKG-Gerätes. Doch zu spät: der alte Mann war verloren. 

* * *

In der Unfallambulanz im Erdgeschoß versuchten Doktor Schmelzer und der junge Zivi Peter den tobenden Bernd Helmer zu beruhigen. Er war auf dem Weg ins Krankenhaus mit dem Auto verunglückt und bewußtlos eingeliefert worden.

Nachdem Doktor Schmelzer ihm zwei Einheiten Dopamin in die Vene gespritzt hatte, war er wieder zu sich gekommen. Jetzt schlug er wild um sich. Erst der herbeieilenden Schwester Veritas gelang es, den Patienten mit Gurten zu fixieren. Schwester Veritas, die aus Viechtach im Bayerischen Wald stammte, war groß und kräftig und wurde von den Lernschwestern nur „Schwester Goliath“ genannt. Nachdem sie die Situation unter Kontrolle gebracht hatte, verließ sie die Unfallambulanz mit den Worten: „Gut, daß ich mich nur beruflich mit den Männern herumschlagen muß“. 

Dr. Schmelzer lachte und Zivi Peter zuckte mit den Schultern: 

„Junge, Junge, die haut den stärksten Mann um!“, sagte er und kontrollierte Helmers Puls.

Die erste Wirkung des Notfallmedikamentes hatte nachgelassen, sodaß sich Bernd Helmer wieder etwas beruhigte. 

„Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, sagte er leise. 

„Was ist denn passiert?“, fragte Peter. 

Bernd Helmer drehte den Kopf zur Wand und Dr. Schmelzer gab dem jungen  Zivi einen Wink. 

„Ich hatte gleich so einen merkwürdigen Verdacht“, flüsterte er, „ein Unfall auf einer so überschaubaren Strecke, noch dazu ohne gefährliche Kurven. Du kennst ja die Donaustaufer Straße…! Alkohol hat er auch nicht zu sich genommen…“. 

„Sie meinen, er könnte absichtlich an den Baum gefahren sein?“

„Ja“, erwiderte Dr. Schmelzer sorgenvoll und fügte nachdenklich hinzu: „Er hatte mehr Glück als Verstand. Keine inneren Verletzungen, alle Knochen heil. Der Airbag hat ihn wohl gerettet.“

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