Vom angeblichen Nichtbeachten der pädagogischen Sorgfaltspflicht und dem Verschenken von Potenzialen

von Lisa Unger-Fischer

Mehr Respekt vor der Herkunftssprache

Kürzlich war in einer Regensburger Zeitung zu lesen, dass Eltern, die mit ihren Kindern zu Hause nicht Deutsch sprechen, sondern in ihrer Herkunftssprache kommunizieren, ihre pädagogische Sorgfaltspflicht nicht beachten würden.

Es gibt viele Menschen hier in Deutschland, die diese Ansicht teilen. Schließlich wird häufig beklagt, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Erstklässler*innen nur schlecht oder gar kein Deutsch sprechen. Angesichts dessen scheint die Forderung, zu Hause mit dem Nachwuchs Deutsch zu sprechen, irgendwie plausibel.

Aber was bedeutet das? In letzter Konsequenz führt diese Forderung zunächst dazu, dass Kinder mit Migrationshintergrund die Sprache der Eltern, also die Herkunftssprache, vergessen, um Deutsch zu lernen. Das klingt drastisch, aber es läuft daraus hinaus.

Man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Sie als Deutsche(r) ziehen mit Ihrer Familie nach Russland, weil Sie dort einen Job angenommen haben, und Russland erwartet von Ihnen, dass Sie dort in Ihrer Familie nur noch Russisch sprechen (was real nicht der Fall ist). Würden Sie sich in dieses Land gerne integrieren? Könnten Sie es einfach so hinnehmen, dass Ihre Kinder Deutsch verlernen und sich nach einiger Zeit nicht mehr mit ihren deutschen Großeltern oder gar mit Ihnen unterhalten können?

Respekt vor der Herkunftssprache und –kultur ist das eine.

Die Muttersprache ist die Basis

„Wenn die Muttersprache bis zum fünften Lebensjahr gut gefördert wird, kann ein Kind ohne Probleme Deutsch oder eine beliebige andere Sprache lernen.“

Das andere sind Befunde aus der Sprachwissenschaft, die schon seit einigen Jahren auf die wichtige Rolle der Herkunftssprachen hinweisen, wenn Kinder aus zugezogenen Familien Deutsch lernen. So gilt es mittlerweile als erwiesen, dass eine gut ausgeprägte Muttersprache ein wichtiger Baustein ist, um effektiv Deutsch zu lernen. Studien belegen sehr deutlich: Wenn die Muttersprache bis zum fünften Lebensjahr gut gefördert wird, kann ein Kind ohne Probleme Deutsch oder eine beliebige andere Sprache lernen. Umgekehrt wirkt es sich fatal aus, wenn Kinder aus dem Zwang heraus, möglichst schnell die deutsche Sprache erlernen zu müssen, ihre Muttersprache nicht ausbauen können. Grund dafür ist, dass sich diese Kinder beim Erlernen des Deutschen immer auf die Muttersprache als Modell beziehen.

Klare Trennung ist am besten

Interessant sind auch die Beobachtungen der Rektorin einer Münchner Grundschule mit hohem Anteil an Kindern von zugezogenen Familien. Abgesehen davon, dass sie und ihre Kolleg*innen die sprachliche und kulturelle Vielfalt an ihrer Schule als absolute Bereicherung empfinden, empört sie sich, wenn nach wie vor die Forderung im Raum steht, dass Eltern mit ihren Kindern zu Hause Deutsch sprechen müssen. Die oben genannten Forschungsergebnisse kann sie nur bestätigen. Aber darüber hinaus stellt sie fest, dass Eltern mit ungefestigten Deutschkenntnissen eher Schaden anrichten, wenn sie ihrem Nachwuchs Deutsch beibringen möchten. Was sich nach Beobachtung der Rektorin ebenfalls sehr negativ auf den Prozess des Deutschlernens auswirkt, sind Eltern, die während des Sprechens zwischen den Sprachen wechseln. Dadurch kommt den Kindern ein Gefühl für die Struktur der jeweiligen Sprache abhanden und es entsteht ein unauflösbarer Sprachenmix. Optimal mit dem Erlernen der deutschen Sprache verläuft es dann, so die Rektorin, wenn zu Hause in der Herkunftssprache und außerhalb der Familie Deutsch möglichst schon im Kindergartenalter gesprochen wird.

Es gibt also viele Gründe, das negative Image der Herkunftssprache von zugewanderten Familien zu überdenken.

Mehrsprachigkeit = Mehrwert

Die Universität Regensburg hat das getan. Seit mehr als zehn Jahren hält sie mit dem Secondos-Programm ein Angebot für Studierende bereit, die neben Deutsch mit einer oder mehreren weiteren Sprachen aufgewachsen sind. Dieses Potenzial der Mehrsprachigkeit ist unschätzbar wertvoll, aber nur wenige der Betroffenen können es persönlich und beruflich ausschöpfen, denn sie wurden nicht ausreichend in ihren Herkunftssprachen gefördert. Das Secondos-Programm bietet spezielle Sprachkurse und ein Auslandssemester im Herkunftsland an. Auf diese Weise können die teilnehmenden Studierenden wieder mit ihren Großeltern kommunizieren und stellen ihre wertvolle interkulturelle Kompetenz auch dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Viele Arbeitgeber, die Hände ringend nach geeigneten Mitarbeiter*innen für ihre Handelbeziehungen im Ausland suchen, wundern sich im Übrigen sehr, dass Deutschland dieses Potenzial einfach liegen lässt. Deshalb wurde das Secondos-Programm auch mit dem Deutschen Arbeitgeberpreis ausgezeichnet.

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