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Gedanken zum Tag des Gedenken an den Nationalismus am 27. Januar

Gastbeitrag von Hans Simon-Pelanda

Der 27. Januar wurde erst vor 25 Jahren , also 51 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Soldaten der Roten Armee,  von Bundespräsident Herzog zum offiziellen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus ausgerufen.  Schon damals warnten eine Ruth Klüger oder ein Imre Kertész vor dem wachsenden Gedenkstätten- und Museen-Tourismus, und dass sich in manch gutgemeinte Rede, in öffentliche Gedenkveranstaltungen und bemühte Inszenierungen schon Routinen und Rituale einschlichen.  Nicht nur sie sahen in Form und Weg oder in der Art und Weise, wie man sich der Shoah, dem Genozid und den vielen Verbrechen näherte, eine beginnende Entfernung von der historischen Wahrheit. 

Auch Tadeusz Sobolewicz, dessen sechstes KZ das Regensburger Außenkommando des Konzentrationslagers in Flossenbürg, das „Colosseum“ in Stadtamhof war, warnte vor dieser Gefahr bei seinen Ansprachen und Begegnungen am ebenfalls erst fast 50 Jahre nach der Befreiung dort  eingeweihten Denkmal sowie in Regensburger Schulen. Er, der in den letzten Jahrzehnten neben seinen regelmäßigen Auftritten als Zeitzeuge im KZ Auschwitz selbst  auf unzähligen Gesprächsterminen in Deutschland und oft auch in Regensburg Zeugnis ablegte, fragte ebenfalls nach dem Inhalt des Erinnerns und Gedenkens: „Kann man Auschwitz überhaupt verstehen? Das Lager, wo der größte Mord von Menschen an Menschen durchgeführt wurde?“  Und an das für ihn wichtigste Publikum: „Die neuen Generationen stellen sich oft die Frage, wie es im XX. Jahrhundert geschehen konnte. Um Auschwitz zu verstehen, muss man sich Wahrheiten vorstellen, an denen Tausende der dortigen Häftlinge teilhatten.“ Er spricht von ‚Wahrheit–en‘ , die in den Lagern die unterschiedlichsten Opfergruppen erleiden mussten:  Die Juden, die Sinti und Roma, die Zwangsarbeiter vor allem aus dem Osten Europas, die politischen Gefangenen aus dem Widerstand gegen die Nazis in ganz Europa, die Homosexuellen, die Kranken und Schwachen, immer noch gerne vergessene Gemeinschaften wie Jehovas Zeugen, russische Kriegsgefangene, Zivilinternierte … und auch jene Mutigen, die versuchten, anderen zu helfen und Menschen vor der Erniedrigung und Ermordung zu retten. Deswegen war er sich trotz aller Revisionismen, Verdrehungen und Ablenkungen sicher: „Die Wahrheit bleibt als Warnung für die Menschheit in der Welt. … Zum Glück bleibt für immer als Quelle der Wahrheit über Auschwitz – die Traumata der Menschen im XX. Jahrhundert, die breite Erinnerungskultur von den Zeitzeugen.“

Jede Stadt, alle Bürgerinnen und Bürger Regensburgs sollten den Auftrag und die Bitten, die bald nur noch in den Zeugnissen der Überlebenden indirekt zu uns sprechen, Gehör schenken. Sicher, seit 6 Jahren gedenkt Regensburg aller Opfergruppen aus der Stadt. Der gemeinsame Gedenkweg führt sie sichtbar und würdig zusammen, die Stationen geben auch kleineren Gruppen und Einzelnen eine eigene Erinnerung. Die Stadt ehrt jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, sowjetische Kriegsgefangene, den politischen, christlichen  und gewerkschaftlichen Widerstand, die KZ-Gefangenen aus dem Colosseum, die heimtückisch ermordeten Kranken aus dem Bezirksklinikum und die Zeugen Jehovas durch Gedenksteine und Erinnerungstafeln, weitere könnten und sollten folgen. Doch diese historischen Orte liegen ebenso im gesamten Stadtgebiet verstreut wie die vielen Stolpersteine, die an individuelle Schicksale von Verfolgten und Ermordeten erinnern. 

Gleich nach der Befreiung der Stadt und der Rettung vieler Verfolgter im April 1945 wurde unter der Militärregierung ein starkes Zeichen gesetzt: Der zentrale Ort der Naziverwaltung in der Stadt, um den herum und in dessen unmittelbarer Nähe die Organe von Partei und Polizei ihren Sitz hatten, wurde zum Gedenken in Dachauplatz umbenannt. Also nicht ein Dachauer Platz weist auf die Stadt in Oberbayern hin, sondern als Namensgeber des Gedenkplatzes wurde bewusst ein Synonym für die Unterdrückung und Ermordung Hunderttausender aus vielen Ländern Europas im Konzentrationslager Dachau und den anderen Orten der Verbrechen gewählt. In den Folgejahren fand nur eine Opfergruppe dort ihren Platz, der so umso schneller für viele wieder ein „normaler Platz“ wurde, mit dem man die Pflicht zu Erinnerung und Gedenken an alle Opfergruppen erfüllt sah. 

Und heute? Führt man Gäste an diesen Platz, erkennt dort kein Fremder – und längst nicht jede Regensburgerin und jeder Regensburger – einen zentralen Erinnerungs- und Gedenkort. Ein an den Rand verlegter Gedenkstein für die Ermordeten vom 24. April 1945, Michael Lottner, Dr. Johannes Maier und Josef Zirkl; die ursprüngliche Gedenktafel ohne Hinweis räumlich abgetrennt durch eine vielbefahrene Zufahrt zum Parkhaus, von dem der Platz beherrscht wird ; in den letzten Jahren ein zentral auf dem Platz errichteter Kiosk und eine Brunnenanlage ohne einen irgendwie herstellbaren Bezug zum historischen Ort – sieht so ein zentraler Gedenkort aus!? 

Noch haben es der Stadtrat und die Stadtspitze in der Hand, zusammen mit der Zivilgesellschaft auch in Regensburg einen würdigen Ort für die Opfer zu schaffen. Wenn jetzt ein zentrales Erinnern und Gedenken entstehen soll, drängt sich dieser symbolträchtige Platz hierzu geradezu auf. In unmittelbarer Nähe ließe sich eine öffentlich zugängliche Informationsstelle über die Jahre 1933 – 1945 mit Orientierungsplan im Pfeiler unter dem Sitzungsaals auf der D.-Martin-Luther-Straße einrichten. Im angrenzenden Rathaus resp. im Bürgerzentrum finden sich Sitzungs- und Gruppenräume für Besucher. 

Tadeusz Sobolewicz meinte mit seiner Aufforderung sicher auch uns in Regensburg:

„Das Schicksal der Welt liegt in den Händen der Menschen und von ihnen hängt es ab, wie diese Welt in Zukunft aussehen wird!“

Der Autor:

Hans Simon-Pelanda
Ehrenvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
ehemaliges KZ Flossenbürg e. V.

http://www.arge-kz-flossenbuerg.de/

Ein Kommentar

  1. Es schnürt mir ehrlich die Kehle zu. Noch nie habe ich am Dachauplatz daran gedacht, dass hier politisch Nazi-Verbrechen geplant wurden.

    Die Geschichte des Colosseums erzähle ich jedem Besuch in Regensburg. Und dennoch begegnen wir auch heute noch Abfälligkeiten gegen Sinti & Roma, wie auch gegen Zeugen Jehovas. Oft kommen sie von Menschen, die bei KZ nur an die Opfer jüdischen Glaubens denken.

    Danke Herr Simon-Pelanda. Ein Mahnmal am Dachauplatz ist aus meiner Sicht eine wichtige Aufgabe der Bruecke-Fraktion im Stadtrat!

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