Geht das Schuljahr den Bach runter?

Corona – Spielball Schule

Eine Frage, die Eltern, Schüler und Lehrer unterschiedlich beantworten werden. Jeder ist anders betroffen, doch alle sitzen im gleichen Boot. Eltern und Lehrern wird aktuell viel abverlangt, wenn es darum geht, den Kindern Wissen zu vermitteln und sie zu einem guten Abschluss zu führen. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob ein Erstklässler oder ein 8.-Klässler unterrichtet werden muss. Bei Berufsschülern ließ man den Unterricht in Coronazeiten an manchen Schulen in Bayern sogar ganz ausfallen.  Sport, Kunst und Musik sind vielerorts nun echte Nebenfächer.

Der Schulalltag war in den letzten Monaten für alle schwierig und doch waren alle „stets bemüht“.  Ständig gab und gibt es neue Anweisungen: Hygienemaßnahmen, Abstand einhalten, Kontakte runterfahren, digitaler Unterricht. „Früher“ wurde vor zu viel Computerkonsum aus pädagogischer Sicht strikt abgeraten, vielmehr sollten soziale Kontakte gefördert und Freundschaften geschlossen werden. Weg vom Frontalunterricht, hin zu mehr Teamarbeit. Und die Schüler freuten sich auf die gemeinsame Pause, in der man schon mal vom Pausenbrot des anderen abbiss. „Schulfamilie“ war das angesagte Credo, aktuell entscheidet das meiste selbstbestimmend die Regierung.

In Regensburg gibt es von Grundschule bis Gymnasium knapp 12000 Schüler. Ihnen stehen nun wieder Distanzunterricht bis vorerst Monatsende bevor.

Stellvertretend fragen wir Tom Mayr, Stadtrat der Brücke und Gymnasiallehrer am Goethe Gymnasium (Deutsch, Geschichte und Sozialkunde)  zu seinen Erfahrungen und Einschätzungen.

  • Wie sind die Schulen auf Distanz- /Wechselunterricht vorbereitet?

An dieser Fragestellung zeigt sich gleich das erste Dilemma. Ich kann nicht sagen, wie DIE Schulen vorbereitet sind, ich kann sagen, dass meine Schule gut vorbereitet ist. Während der gesamten Zeit der Pandemie sind die einzelnen Schulen im Grunde auf sich selbst gestellt. Es kommt auf den Einsatz und die Kreativität der Schulleitungen und der einzelnen Kollegen*innen an. Jede*r hat inzwischen mitbekommen, dass die Lernplattform Mebis nicht zuverlässig funktioniert (abgesehen davon, dass diese Plattform sowieso sehr umständlich und wenig intuitiv ist). An unserer Schule wurde deshalb vor den Weihnachtsferien beschlossen, auf MS Teams umzusteigen. Das geschieht auf Eigeninitiative. Die zusätzlichen Ferientage vor den Feiertagen haben wir zur Fortbildung genutzt. Es bestand ja ohnehin Dienstpflicht für die Lehrer*innen. Ich selbst nutze mit den höheren Klassen auch Slack und weitere Tools – wir sind also gut vorbereitet und auch in der Vergangenheit hat Distanz- bzw. Wechselunterricht gut funktioniert. Ceterum censeo… Ein Präsenzunterricht ist dadurch nicht zu ersetzen. Das werde ich nicht müde, immer und immer zu betonen.

  • Wie gefällt Schülern der digitale Unterricht?

Das ist eine gute Frage. Zunächst waren alle oder viele schon begeistert, weil es einfach etwas Neues war. Eine erste Videokonferenz mit seiner Lehrerin. Ein erstes online-Arbeitsblatt. Und so weiter. Im Laufe der Zeit wurde den meisten Schüler*innen aber klar, dass die Struktur des Präsenzunterrichts auch viele Vorteile mit sich bringt. Home-Unterricht verlangt ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Da kommen manche schnell an ihre Grenzen. Nach dem ersten Lock-Down waren die meisten meiner Schüler*innen froh, wieder „richtig“ in die Schule gehen zu dürfen.

  • Findet der Unterricht digital als „Klassenunterricht“ statt? Ist das an allen Schulen in Regensburg gegeben?

Nun, da bin ich wieder bei dem Punkt wie bei der ersten Frage: Ich weiß nicht, wie das an anderen Schulen in Regensburg ist. Es gibt keine allgemeinen Vorgaben. jede Schule organisiert das für sich selbst. Jetzt stelle man sich aber mal vor, ein digitaler Home-Unterricht läuft identisch ab wie der Präsenzunterricht. Das bedeutet, dass die Kids mindestens von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr vor dem PC, dem Laptop oder dem Tablet hocken. Das kann doch ernsthaft niemand wollen. Wir versuchen dosiert Arbeitsaufträge und Videokonferenzen anzubieten. Es soll täglich ein direkter Kontakt zu den Schüler*innen gegeben sein. Wenn alle gleichzeitig online sind, kommt der Faktor Infrastruktur noch ins Spiel. Wie leistungsstark ist ein W-LAN? Müssen Endgeräte mit Geschwistern geteilt werden? Habe ich einen ruhigen Arbeitsplatz? In der Theorie alles einfach…

  • Was würden Sie sich als Lehrer für den Unterricht für Verbesserungen / Änderungen wünschen.

Für alle Beteiligten ist diese Zeit eine fordernde, eine anstrengende, eine besondere Zeit. Grundsätzlich wünsche ich mir mehr Gelassenheit. Mehr Vertrauen in die Arbeit der Lehrer*innen und schließlich mehr Verlässlichkeit in Bezug auf die Vorgaben des Kultusministeriums. Ich bin überzeugt davon, dass alle Kinder ihren Lebensweg genauso einschlagen können, wie sie es ohne die Pandemie hätte machen können. Niemandem wird wegen der Pandemie aus schulischer Sicht die Zukunft verschlossen bleiben. Braucht man in allen Fächern die volle Anzahl an Leistungserhebungen? Soll der Unterricht auf Leistungsnachweise ausgerichtet sein? Darüber würde ich nachdenken. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass den Kindern gar nicht so viel Stoff entgangen ist. Wir haben nun etwa seit März keine Exkursionen, keine Schulfahrten, keine Wettbewerbe, keine Sportveranstaltungen. Die Fortbildungen der Kollegen*innen finden in deren Freizeit online statt und nicht mehr während der eigentlichen Dienstzeit. Will sagen: Es ist in den letzten Monaten kaum Unterricht ausgefallen. Ich bin in meinen Kursen der Oberstufe beispielsweise voll im Soll was die Erfüllung des Lehrplans betrifft.

  • Wer bleibt auf der Strecke?

Die Schüler*innen, die sich im Präsenzunterricht schwergetan haben, haben im Distanzunterricht sicher keine Vorteile. Diejenigen, die komplett auf sich gestellt sind, benötigen ein hohes Maß an Disziplin. Und dann gibt es natürlich noch die, die sich bewusst ausklinken und darauf hoffen, dass vonseiten des KM in Zeiten der Pandemie sowieso keiner durchfallen darf oder irgendwelche Nachteile haben darf. Mit Erfolg. Sanktionen gegen Online-Verweigerer gibt es kaum. Kinder aus bildungsfernen oder prekären Familienverhältnissen gehören auch nicht zu den Gewinnern. Corona verstärkt soziale Ungleichheiten.

  • Begrüßen Sie die Lockdown Entscheidung, die Schulen zu schließen?

Ich bin froh, nicht in der Position zu sein, dies entscheiden zu müssen. In Regensburg sind wir Lehrer*innen bei einer Inzidenz von über 200 vor vollen Klassen gestanden. Heute liegt der Wert bei 74,5. Ich weiß es nicht, was richtig und was falsch ist. Man muss immer das große ganze Geschehen sehen und darf vermutlich nicht nur auf eine einzelne Maßnahme blicken. In der Summe gilt es, das Gesundheitssystem für alle am Laufen halten zu können. Ein Wechselunterricht wäre in meinen Augen vertretbar gewesen. Ich kritisiere die gefällte Entscheidung allerdings nicht. Gehen wir also in den Distanzunterricht. Der wird an meiner Schule auf hohem Niveau angeboten. Die Faschingsferien ausfallen zu lassen, halte ich für das falsche Signal. Schüler*innen wie Lehrer*innen brauchen regelmäßig Zeiträume zum Durchschnaufen. Aber das sehen viele anders. Also lassen wir das.

  • Kommt das Digitalpaket tatsächlich in den Schulen an und wird es genutzt?

Soweit ich das mitbekommen habe, können sich alle Schüler*innen, die Bedarf anmelden, ein Endgerät ausleihen. In meinen Augen dürfen diese sogenannten Digitalpakete aber nicht zu hoch bewertet werden. Es genügt nicht, Geld für Endgeräte auszugeben. Wer wartet diese? Was geschieht mit diesen Geräten nach der Pandemie? Es braucht ein Gesamtkonzept. Vieles was Digitalisierung betrifft, ist – vermutlich nicht nur an den Schulen – Stückwerk. Aber darüber kann man an anderer Stelle streiten.

Ich wünsche mir, dass wir alle gut aus der Corona-Krise kommen und bald wieder unser „altes“ Leben zurückhaben werden. Auch wenn wir dann einige Dinge angehen und ändern sollten.

Aushang am Eingang des Von-Müller-Gymnasiums

Text und Interview: Claudia Fritsch

2 Kommentare

  1. Der bayerische Kultusminister Michael Piazola liess verlautbaren, er wolle die “hohe Qualität” des bayerischen Bildungssystems erhalten. Nach diesem aufschlussreichen Beitrag kann man eher zu der Auffassung kommen, dass unsere engagierten Lehrer für diese “hohe Qualität” bürgen – trotz vieler Pannen!

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